Langzeitdaten unterstreichen anhaltenden Frakturschutz
Österreich altert.1 „Allein im Zeitraum 2008 bis 2019 ist der Anteil der über 50-jährigen Frauen um 16,5 Prozent und der über
50-jährigen Männer um 23,4 Prozent angestiegen“, berichtete Univ.-Prof. Dr. Hans-Peter Dimai, Klinische Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie, Univ.-Klinik für Innere Medizin, Medizinische Universität Graz, der wegen der Pandemie-Situation virtuell nach
St. Wolfgang zugeschaltet wurde. Mit zunehmendem Alter steige jedoch die Wahrscheinlichkeit, eine osteoporotische Fraktur zu erleiden: Daten zufolge liegt die Lebenszeitwahrscheinlichkeit für eine Hüftfraktur in Österreich bei knapp zehn Prozent für über 50-jährige Männer und sogar bei knapp 20 Prozent für über 50-jährige Frauen.2
Dramatische Unterversorgung
„Leider besteht in Österreich noch immer eine eklatante Behandlungslücke bei Osteoporose“, zitierte Dimai entsprechende Zahlen aus der ICUROS-Studie.3 „Demnach erhielten nur einer von zehn Männern und knapp zwei von zehn Frauen innerhalb der ersten vier Monate nach ihrer osteoporotischen Fraktur überhaupt eine adäquate Osteoporosetherapie. Acht Monate später waren 88 Prozent der Männer und 84 Prozent der Frauen, 18 Monate später sogar 90 Prozent der Männer und 85 Prozent der Frauen wieder unbehandelt.“ Bei den zum Frakturzeitpunkt behandelten Patienten war die Langzeitadhärenz besser, dennoch war ein erheblicher Anteil nach 18 Monaten ohne Therapie.3 .
Dimai ortete drei wesentliche Ursachen für diese Behandlungslücken. Erstens: Die Diagnose wurde nicht gestellt.4 Zweitens: Die Diagnose wurde zwar gestellt, aber keine Therapie verordnet.5 Drittens: Die Diagnose wurde gestellt und die Therapie korrekt verordnet, aber das Rezept wurde nie eingelöst oder das Medikament wurde nie oder nur mit großer Verzögerung eingenommen.6
Behandlungslücken schließen
„Mögliche Lösungsansätze“, folgerte Dimai, „umfassen einfachere Methoden wie eine verbesserte Aufklärung der Patienten über das Krankheitsbild der Osteoporose bis hin zu aufwändigen Strategien wie die Implementierung eines Fracture-Liasion-Service.“ Auch auf gesundheitspolitischer Ebene müsste das Bewusstsein für die Erkrankung geschärft werden, verwies Dimai auf die Initiative „Call for Action“ der ÖGKM, die 2019 beschlossen und für die schon erste konkrete Kooperationsprojekte mit Gesundheitseinrichtungen erarbeitet wurden.
Osteoporose ist chronische Erkrankung
„Bei der Mehrzahl der Patientinnen ist die Osteoporose eine chronische Erkrankung mit einem dauerhaft erhöhten Frakturrisiko“, bestätigte auch Priv.-Doz. Dr. Christian Muschitz, II. Medizinische Abteilung am Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Wien, beim 28. Osteoporoseforum. „Und chronische Erkrankungen müssen lebenslang behandelt werden, wie es bei Diabetes oder Hypertonie üblich ist.“ Als typische Risikofaktoren für Osteoporose gelten unter anderem höheres Lebensalter und weibliches Geschlecht, familiäre Vorbelastung, aber auch Komorbiditäten und Komedikationen wie Morbus Cushing und Glukokortikoid-Therapie, rheumatoide Arthritis, Diabetes mellitus, die Einnahme bestimmter Antiepileptika und kardiale Erkrankungen wie Herzinsuffizienz.7
Hohes Refrakturrisiko
Besonders hoch ist das Refrakturrisiko nach einer osteoporotischen Indexfraktur: In einer kanadischen Kohortenstudie8 wurden die zeitliche Abfolge zwischen Indexfrakturen und Folgefraktur sowie die Prädilektionsstellen von Folgefrakturen bei über 66-jährigen Patienten (medianes Alter 80,4 Jahre) untersucht. Demnach wurden 27,3 Prozent und damit die relative Mehrzahl der Indexfrakturen an der Hüfte beobachtet, gefolgt von Handgelenksfrakturen. 7,8 Prozent erlitten nach median 555 Tagen die erste Folgefraktur und 3,6 Prozent nach median 283 Tagen eine weitere, dritte Fraktur, also innerhalb eines noch kürzeren Zeitraums. Die häufigste Lokalisation für die zweite Fraktur war die Hüfte (27,8%). Besonders alarmierend: 15,9 Prozent aller Patienten verstarben bereits im ersten Jahr nach der Indexfraktur.8 Auch in Österreich steige die Zahl der osteoporotischen Frakturen nach wie vor an, ergänzte Muschitz.9
Idealerweise müssten Osteoporosepatienten schon prophylaktisch behandelt werden, ehe es zu einer Fragilitätsfraktur kommt. „Nach einer Fraktur müssen wir jedenfalls eine spezifische Osteoporosetherapie anbieten, um das Refrakturrisiko zu senken“, verwies Muschitz auf die entsprechenden Empfehlungen.7
Denosumab: Erstes und bislang einziges Biologikum
Innerhalb des Spektrums der antiresorptiven Osteoporosetherapeutika ist seit nunmehr zehn Jahren als einziges Biologikum der monoklonale Antikörper Denosumab10 verfügbar. Der RANKL-Inhibitor zeichnet sich durch einen einzigartigen reversiblen Wirkmechanismus auf trabekulären und kortikalen Knochen aus, womit es zu einem Frakturschutz im gesamten Skelett kommt.10–12
Bereits in der zulassungsrelevanten Phase-III-Studie FREEDOM (n=7.808) kam es nach 36 Monaten zu einer signifikanten Reduktion des relativen Risikos für neue vertebrale Frakturen (68%; p<0,001 vs. Placebo), Hüftfrakturen (40%; p=0,04 vs. Placebo) und nicht vertebrale Frakturen (20%; p=0,01 vs. Placebo), wobei die Verträglichkeit von Denosumab mit Placebo vergleichbar war.12 „Für die klinische Praxis relevant waren natürlich die Langzeitdaten aus der Verlängerungsstudie FREEDOM-Extension mit bis zu zehn Behandlungsjahren mit Denosumab.“ In FREEDOM-Extension13 erhielten Patientinnen aus der ursprünglichen 36-monatigen FREEDOM-Verumgruppe Denosumab für weitere sieben Jahre (Summe: zehn Jahre), während die Placebopatientinnen auf Denosumab wechseln konnten (Crossover-Gruppe; Summe: sieben Jahre).
Kontinuierliche Zunahme der Knochenmineraldichte
„Wir sahen unter Denosumab eine konstante Zunahme der Knochenmineraldichte (BMD), einen Effekt, den wir unter Bisphosphonaten nicht beobachten, da Bisphosphonate nach einigen Therapiejahren ihr Plateau hinsichtlich BMD-Zunahme erreichen“14, zeigte Muschitz wesentliche Unterschiede auf. In FREEDOM-Extension kam es nach zehn Behandlungsjahren mit Denosumab 60mg subkutan alle sechs Monate zu einem kumulativen Anstieg der BMD an der Lendenwirbelsäule um 21,7 Prozent und an der Gesamthüfte um 9,2 Prozent (jeweils versus Baseline). In der Crossover-Gruppe betrugen die Zuwächse in der BMD nach sieben Jahren +16,5 Prozent (Lendenwirbelsäule) und +7,4 Prozent (Gesamthüfte). „Die sCTX- und P1nP-Spiegel als Marker des Knochenstoffwechsels blieben während der sieben und zehn Behandlungsjahre supprimiert“, berichtete Muschitz.13 Zudem würden rezente Auswertungen des FREEDOM-Kollektivs zeigen, dass Denosumab auch in der Langzeittherapie mit keinen neuen Sicherheitssignalen assoziiert sei.15 „Tatsächlich kamen Nebenwirkungen wie Osteonekrose oder atypische Femurfrakturen so selten vor, dass sie kaum darstellbar
waren – die kombinierte Inzidenzrate der beiden Ereignisse pro hundert Patientenjahre betrug in dieser Auswertung15 lediglich 0,06“, ergänzte Muschitz. „Bitte achten Sie aber wegen der definierten Halbwertszeit und der Reversibilität darauf, dass Ihre Patienten den Antikörper wirklich alle sechs Monate erhalten, um einen Reboundeffekt zu vermeiden.“
Therapie nicht absetzen
Es bestünde tatsächlich kein Grund, eine Therapie mit Denosumab abzubrechen, bestätigte Univ.-Prof. Dr. Astrid Fahrleitner-Pammer, Klinische Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie der Univ.-Klinik für Innere Medizin an der Medizinischen Universität Graz. Im Gegenteil: „Histomorphometrischen Untersuchungen16 zufolge führte ein Unterbrechen der Denosumab-Therapie nach fünf Jahren zu einem Remodeling, zu einem normalen Knochenturnover und damit zu einem Abbau des Knochens vergleichbar wie vor Therapiebeginn.“
Angesichts des kontinuierlichen BMD-Zuwachses unter Denosumab über die Zeit, wie aus der bereits vorgestellten FREEDOM-Extension-Studie13 hervorging, wäre aus Sicht der Expertin ein Therapieabbruch daher nicht empfehlenswert. Inzwischen wurde der anhaltende antiresorptive Langzeiteffekt von Denosumab auch histomorphometrisch bestätigt: Demnach führte Denosumab zu einer gesteigerten Knochenmineralisation bis zum Jahr fünf und zu einem persistierend niedrigen Knochenturnover. Pathologische Veränderungen wie Osteomalazie, Geflechtsknochenbildung oder Knochenmarksfibrose wurden nicht beobachtet.17 „Der gesamte Remodelingzyklus unter Denosumab, also die Summe aus Resorption, Reversion, Formation und sekundärer Mineralisation, scheint bei fünf Jahren zu liegen“, fasste Fahrleitner-Pammer zusammen.
Nettozuwachs an Knochenvolumen
Der kontinuierliche BMD-Anstieg über diesen Zeitraum hinaus beruhe auf dem Konzept der „Modeling-Based Bone Formation“, so die Grazerin. Einer Studie18 zufolge war die Knochenformation durch Modeling (MBBF, modeling-based bone formation) an den trabekulären und endokortikalen Oberflächen unter Denosumab im Vergleich zu einer historischen Kontrollkohorte unter klassischer antiresorptiver Therapie bis zu zehnmal höher. Das Remodeling (RBBF, remodeling-based bone formation), also die Resorption, war wiederum bis zu fünfmal stärker gehemmt. „Folglich kam es zu einem sehr ausgeprägten Nettozuwachs von Knochenvolumen unter Langzeittherapie mit Denosumab.“