DMP Osteoporose
Die hohe Inzidenz der Osteoporose, die Schnittstellenverluste, die mangelnde Umsetzung der Empfehlungen der S3-Leitlinie und die unbefriedigende Therapietreue haben zur Entwicklung eines Disease-Management-Programms (DMP) Osteoporose in Deutschland geführt. Dieses DMP wurde 2020 beschlossen und vom deutschen Bundesgesundheitsminister in Kraft gesetzt und soll spätestens ab 2022 umgesetzt werden. Solche strukturierten Behandlungsprogramme bewähren sich vor allem zur langfristigen Verbesserung der Qualität der medizinischen Versorgung chronisch kranker Patienten und sind im konkreten Fall eng an die Leitlinie der DVO angebunden. Zudem soll das DMP von geeigneten qualitätssichernden Maßnahmen begleitet werden.
Ziel des DMP Osteoporose ist jedenfalls die verbesserte Versorgung der Patienten mit daraus resultierender Frakturreduktion. Nachteilig sei, so der Referent, dass schon einige DMPs (z.B. COPD, Brustkrebs, Diabetes oder koronare Herzkrankheit) im klinischen Versorgungsalltag implementiert seien, die letztlich miteinander konkurrieren und unter Umständen auch zu Einbußen bei der Erstattung führen könnten. In Deutschland sollen zunächst zwei großen Facharztgruppen das DMP Osteoporose betreuen, koordinieren und umsetzen: Allgemeinmediziner und Orthopäden, sofern sie eine entsprechende Weiterbildung im Bereich der Osteoporose aufweisen. (Christopher Niedhart, 12.9.2020)
Folgen einer osteoporotischen Femurfraktur
Aus einer australischen Kohortenstudie geht hervor, dass über 65-Jährige mit der Primärdiagnose einer Hüftfraktur eine 3,5-mal höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen, innerhalb von zwölf Monaten zu versterben, als nicht verletzte Vergleichspersonen (Lystad, Arch Osteoporos 2017). Die Zahlen überraschen nicht, denn aus verschiedenen anderen Untersuchungen ist bekannt, dass zumindest jeder fünfte Betroffene nach einer Hüftfraktur in ein Pflegeheim übersiedeln muss, und nur etwas mehr als ein Viertel der Personen erlangt wieder eine körperliche Mobilität wie vor dem Sturzereignis. Wesentliches Therapieziel neben der Priorisierung der Frakturprävention ist nach einer osteoporotischen Fraktur daher das Erreichen eines Status wie vor dem Frakturereignis hinsichtlich Mobilität und Aktivitäten des täglichen Lebens, eine Kernkompetenz der Rehabilitation. Und selbstverständlich sollte nach jeder operativ versorgten proximalen Femurfraktur eine konsequente Diagnostik und die Behandlung der zugrunde liegenden Osteoporose mit einer spezifischen medikamentösen Osteoporosetherapie eingeleitet werden. Patientenschulungsprogramme können zudem die Compliance der medikamentösen Behandlung verbessern. (Klaus Peters, 5.9.2020)
Antiresorptive Therapie nach Hüftfrakturrisiko
Allerdings werden Patienten nach einer typischen osteoporotischen Hüftfraktur nach wie vor nicht in ausreichendem Maße mit antiosteoporotischer Medikation versorgt, wie eine Studie aus Österreich zeigt (Behanova, Calcif Tissue Int 2019). Demnach verlassen 80% der untersuchten Personen ohne adäquate Therapie das Spital. Da aber die Sterblichkeit in dieser Population massiv erhöht ist, könnte eine adäquate Osteoporosetherapie hier einen positiven Effekt zeigen. Die vorgestellte Studie zeigt tatsächlich, dass eine antiresorptive Therapie nach Hüftfraktur das Mortalitätsrisiko deutlich verringern kann. So lag die Zwölf-Monats-Überlebenswahrscheinlichkeit von Männern nach Hüftfraktur unter Denosumab-Therapie bei 89% und unbehandelt bei 73%, und die Zwölf-Monats-Überlebenswahrscheinlichkeit von Frauen nach Hüftfraktur unter intravenöser Bisphosphonattherapie bei 93% und unbehandelt bei 85%. Die Referentin – Erstautorin der Studie – folgert, dass die Verschreibung einer spezifischen Osteoporosetherapie unmittelbar nach einer Hüftfraktur stärker forciert werden sollte, idealerweise durch Ausbau von Fracture Liasion Services. Auch die Einführung eines DMPs wie in Deutschland wird von österreichischen Experten gefordert. (Martina Behanova, 5.9.2020)
Behandlungslücken nach osteoporotischer Fraktur
Auch in Deutschland ist die Behandlungslücke groß. Trotz nachgewiesener und richtig kodierter osteoporotischer Fraktur werden mehr als die Hälfte der Frauen und zwei Drittel der Männer nicht mit einer spezifischen Osteoporosetherapie behandelt (Hadji, Dtsch Arztebl Int 2013). Diese Zahlen sind umso dramatischer, weil in Deutschland im Jahr 2016 bei 3,64 Millionen Patienten die Diagnose Osteoporose (M80/M81-Kodierung) vorlag und knapp 600.000 Neuerkrankungen zu verzeichnen waren. Einer aktuellen deutschen Untersuchung zufolge liegt das Risiko für eine Folgefraktur innerhalb eines Jahres nach der Indexfraktur bei etwa 20% (Hadji, Arch Osteoporosis 2020). Dieses hohe Risiko untermauert die Notwendigkeit einer frühen und adäquaten Diagnostik sowie einer spezifischen medikamentösen Osteoporosetherapie gemäß DVO-Leitlinie. (Peyman Hadji, 12.9.2020)
Romosozumab
Die beiden wesentlichen osteoanabolen Substanzen im heutigen klinischen Einsatz sind Teriparatid und Romosozumab. Teriparatid ist inzwischen seit mehr als 20 Jahren etablierter Teil des osteologischen Alltags bei entsprechender Indikation. Inzwischen stehen neben dem Originalpräparat auch Biosimilars zu Verfügung. (Peter Kann, 12.9.2020)
Romosozumab hingegen ist der erste Vertreter einer ganz neuen osteoanabolen Wirkstoffklasse, der sogenannten Sklerostin-Antikörper. Sklerostin wird von Osteozyten gebildet und hemmt die Knochenformation durch Blockade des Wnt-Signalwegs. Romosozumab blockiert diesen Signalweg, sodass es zu einem dualen Effekt auf den Knochen mit Stärkung der Knochenneubildung und zu einer – weniger stark ausgeprägten – Hemmung des Knochenabbaus kommt. (Lorenz Hofbauer, 12.9.2020)
Der Sklerostin-Hemmer wurde 2019 in den USA und 2020 in Europa zugelassen. Die Wirksamkeit wurde in einer Reihe von placebokontrollierten und sequenziellen Studien nachgewiesen. Die Stimulation des Knochenaufbaus durch Romosozumab hat einen entsprechend günstigen Einfluss auf die Knochenmineraldichte und die Reduktion der Frakturrate. Das neue osteoanabole Medikament ist angezeigt für die Behandlung der manifesten Osteoporose bei postmenopausalen Frauen mit deutlich erhöhtem Frakturrisiko. Eine Kontraindikation für die Behandlung mit Romosozumab stellen Herzinfarkt oder Schlaganfall in der Anamnese dar. (Peter Kann, 12.9.2020)
Behandlungsalgorithmus
Schon aus ökonomischen Gründen muss ein Teil der Patienten mit einer osteologischen Standardtherapie behandelt werden. In der klinischen Praxis gilt es daher, jene Patienten mit besonders ungünstiger Ausgangssituation, also schwerer Osteoporose oder initial sehr hohem Frakturrisiko, zu identifizieren und intensivierter zu behandeln. Anzudenken ist eine optimierte Sequenztherapie, bestehend aus einer osteoanabolen Therapiephase mit anschließender antiresorptiver Medikation, um das Frakturrisiko besonders rasch zu senken. Zur Evaluierung des individuellen Risikos verweist der Referent auf einen rezent publizierten Algorithmus (Kanis, Osteoporos Int 2020). Darin werden Strategien zur Behandlung von osteoporotischen Patienten mit niedrigem, hohem und sehr hohem Frakturrisiko zusammengefasst. Die Evaluierung in großen Studien steht aber noch aus. (Peter Kann, 12.9.2020)